Resettlement-Einreisen aus der Türkei nach Deutschland

Auswahlverfahren, Auswahlkriterien und zivilgesellschaftliche Kritik

Am 18. März dieses Jahres wurde die EU-Türkei-Vereinbarung verabschiedet, die am 4. April in Kraft trat. Seitdem werden einerseits syrische Flüchtlinge, die nach dem 20. März aus der Türkei nach Griechenland eingereist sind und dort keinen Asylantrag gestellt haben oder deren Antrag abgelehnt wurde, in die Türkei zurück geleitet. Auf der anderen Seite reisen seit Anfang April besonders schutzbedürftige syrische Flüchtlinge über Resettlement in verschiedene europäische Länder ein. Dieses Verfahren wird 1 zu 1-Mechanismus genannt. Deutschland hat bisl September 2016 über 600 Personen über das deutsche Resettlement-Verfahren  aus der Türkei aufgenommen . Laut Berichten der EU wurden bislang insgesamt mehr als 800 Flüchtlinge über Resettlement durch den 1 zu 1-Mechanismus aus der Türkei von EU-Mitgliedsstaaten aufgenommen und über 462 Personen  in die Türkei rückgeführt.

Was sind die Ziele der Vereinbarung zwischen der EU und der Türkei?

Ziel der Vereinbarung ist laut der Europäischen Kommission, dass Geschäftsmodell der Schleuser zu zerschlagen und die „irreguläre“ Migration aus der Türkei in die EU zu beenden. Um dieses Ziel zu erreichen, wurden neun Maßnahmen definiert, darunter die bereits eschriebene Rückführung von Personen in die Türkei sowie die Aufnahme anderer Personen über Resettlement. Eine weitere Maßnahme ist die Umsetzung der Visaliberalisierung für türkische Staatsangehörige. Alle Maßnahmen können in der Erklärung  und den Fragen und Antworten zur Erklärung achgelesen werden.

Syrische Familie im Flüchtlingslager Suruc in der Türkei

Foto: UNHCR/Ivor Prickett

Wie beteiligt sich Deutschland an der Vereinbarung?

Deutschland beteiligt sich im Rahmen seines Resettlement-Programms seit dem 4. April an der Umsetzung der EU-Türkei-Vereinbarung. Bis September 2016 sind rund 600 syrische Flüchtlinge aus der Türkei nach Deutschland eingereist. Sie erhalten einen Aufenthaltstitel gemäß §23 Abs.4 AufenthG , durch den sie einen gesicherten Aufenthalt in Deutschland haben und einen Integrationskurs absolvieren sowie Leistungen nach dem SGB II beziehen können. Weitere Informationen können Sie auch der aktuellen Aufnahmeanordnung  des Bundesministeriums des Innern (BMI) entnehmen.

Wie läuft das deutsche Resettlement-Programm aus der Türkei ab?

  1. Schutzsuchende registrieren sich bei der türkischen Migrationsbehörde DGMM . Diese Behörde erstellt Listen mit Personen bzw. Familien, die nach Einschätzung von DGMM für Resettlement geeignet sind. Für die Auswahl in Frage kommen syrische Staatsangehörige, die vor dem 29.11.2015 einen temporären Schutzstatus in der Türkei erhalten haben und auf die mindestens ein Resettlement-Auswahlkriterium des UNHCR  zutrifft. Die Vorschläge von DGMM werden an die UNHCR-Vertretung in der Türkei weitergeleitet.
  2. Mitarbeitende des UNHCR überprüfen die von DGMM vorgeschlagenen Listen und führen persönliche Interviews mit den vorgeschlagenen Personen.Sofern die Geflüchteten die Kriterien erfüllen, erstellt UNHCR ein Dossier, dass an Staaten versandt wird, die über ein Resettlement-Programm verfügen.
  3. Für Deutschland überprüft das BAMF die UNHCR-Dossiers und lädt die Schutzsuchenden zu einer weiteren Befragung in eine deutsche Auslandsvertretung ein. Ob Personen für das deutsche Resettlement-Programm in Frage kommen, entscheidet das BAMF. Hierbei spielen die Aufnahmekriterien aus der Aufnahmeanordnung  vom 4. April 2016 eine entscheidende Rolle. Sobald die Personen ausgewählt wurden, findet im Rahmen des VISA-Verfahrens eine Identitäts- und Sicherheitsüberprüfung statt. Die ausgewählten Resettlement-Flüchtlinge erhalten anschließend einen Bescheid, der ihren Aufenthaltstitel (§ 23.4 AufenthG) erläutert. Für die Einreise nach Deutschland wird den Schutzsuchenden derzeit ein Visum mit einer Gültigkeit von einem Monat durch die deutsche Auslandsvertretung erteilt.
  4. Die Internationale Organisation für Migration (IOM) ist ebenfalls in das Resettlement-Verfahren eingebunden. Unter der Federführung der IOM werden medizinische Untersuchungen und kulturelle Orientierungskurse mit den Resettlement-Flüchtlingen durchgeführt. Die IOM ist darüber hinaus für die Reiseorganisation zuständig.
  5. Bevor die Schutzsuchenden ausreisen können, benötigen sie eine Ausreisegenehmigung des türkischen Staates. Wird diese erteilt, können sie mit einer baldigen Ausreise rechnen.
  6. Nachdem die Geflüchteten per Flugzeug in Deutschland eingereist sind, werden sie vom Flughafen mit Reisebussen in das Grenzdurchgangslager (GDL) Friedland gebracht. Dort erhalten sie erste Informationen zum Leben in Deutschland. Darüber hinaus können sie die Angebote der Wohlfahrtsverbände wahrnehmen und sich über die Weiterleitung in die verschiedenen Bundesländer informieren.
  7. Nach Ablauf der zwei Wochen Aufenthalt im GDL Friedland, werden die Personen bzw. Familien in die Zielkommunen gebracht.

 Weitere Informationen zum Ablauf finden Sie auch in den Standard Operating Procedures der EU 

Kann ich meine syrischen Verwandten, die sich derzeit in der Türkei aufhalten, für das deutsche Resettlement-Programm (von Deutschland aus) registrieren?

Nein. Wie oben beschrieben erfolgt der Auswahlprozess über die türkische Migrationsbehörde DGMM, UNHCR und dem BAMF innerhalb der Türkei.

 

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Freundinnen im Flüchtlingslager Suruc/ Türkei

Foto: UNHCR/Ivor Prickett

Wie können sich meine Verwandten bei DGMM in der Türkei registrieren?

Syrische Flüchtlinge können sich in der Türkei in verschiedenen Regionen bei Büros der Migrationsbehörde DGMM registrieren. Nach erfolgreicher Registrierung erhalten die Schutzsuchenden den sogenannten „temporary protection status“, mit dem sie sich medizinisch behandeln lassen und teilweise auch Bildungsangebote wahrnehmen können. Menschenrechtsorganisationen kritisieren in diesem Kontext, dass allein die Registrierung besonders für große Familien eine enorme Hürde darstellt. Darüber hinaus ist es in vielen Regionen der Türkei derzeit nicht, oder erst in ferner Zukunft möglich, sich zu registrieren. Weitere Informationen zu diesem Thema, finden Sie in den folgenden Berichten:

– Bericht von der türkischen NGO Mülteci-DER und Pro Asyl

– Bericht von der türkischen NGO Mülteci Haklari Merkezi  (auch in Arabisch zum Download)

– Bericht vom Jesuiten-Flüchtlingsdienst 

Wo bekommen meine syrischen Verwandten Unterstützung in der Türkei?

In der Türkei sind die zwei Nichtregierungsorganisationen Mülteci-DER und Mülteci Haklari Merkezi für Flüchtlinge aktiv. Kontaktdaten dieser NGOs aber auch weiterer Unterstützer und Rechtsanwälte finden Sie im Elena-Index des European Council on Refugees and Exiles (ECRE).

Wer ist über Resettlement aus der Türkei nach Deutschland eingereist?

Seit dem 4. April 2016 sind rund 300 syrische Staatsangehörige aufgeteilt in fünf Gruppen eingereist. Unter den Resettlement-Flüchtlingen waren und sind viele besonders schutzbedürftige Personen vertreten. So reisten viele kinderreiche Familien, alleinstehende Frauen mit Kindern und eine hohe Anzahl an erkrankten Personen, darunter auch einige Schwerstkranke, ein. Von der Aufnahme über Resettlement profitierten jedoch auch Akademiker und Facharbeiter. Viele der kürzlich eingereisten Personen haben verwandtschaftliche Beziehungen in Deutschland. So waren unter den 300 Personen auch Syrerinnen mit Kindern, deren Ehemänner vorgegangen waren und sich derzeit noch im Asylverfahren befinden. Viele der Menschen haben vor der Ausreise nach Deutschland in kleinen Wohnungen in verschiedenen Städten der Türkei gelebt. In der Regel wohnten sie mit mindestens einer oder mehreren Familien zusammen. Andere wiederum lebten unter schwierigen Bedingungen in Flüchtlingslagern. Für fast alle Resettlement-Flüchtlinge war das Leben in der Türkei sehr schwierig. Nur wenige Familien konnten sich in der Türkei ein neues Leben aufbauen und eine zufriedenstellende Arbeit finden.

(Diese Informationen wurden auf Grundlage von Gesprächen mit einigen Resettlement-Flüchtlingen in der Caritasstelle im Grenzdurchgangslager Friedland zusammengestellt.)

Wie viele Personen werden dieses Jahr noch über Resettlement nach Deutschland einreisen?

Laut der Aufnahmeanordnung des BMI werden in den Jahren 2016 und 2017 1.600 Personen über Resettlement einreisen. Die genaue Zahl für das laufende Jahr kann daher derzeit nicht abgesehen. Weitere Informationen zum Thema finden Sie hier.

Was wird gegenwärtig am Resettlement-Programm aus der Türkei kritisiert?

Besonders in die Kritik geraten ist dies EU-Türkei-Vereinbarung aufgrund des 1 zu 1-Mechanismus. Kritisiert wird, dass damit die Aufnahmen über Kontingente direkt an Rückschiebungen gekoppelt wird. Damit wird aus Sicht von Menschenrechtsorganisationen Resettlement genutzt, um den individuellen Asylzugang in die EU weiter zu erschweren (vgl. z.B. Pro Asyl ). Die meisten Organisationen gehen davon aus, dass die Türkei den Schutz von Flüchtlingen derzeit nicht gewährleisten kann und lehnen daher eine Rückführung in den Staat ab (vgl. z.B. Jesuiten Flüchtlingsdienst ). Zudem ist aufgrund gravierender Mängel im griechischen Asylsystem zweifelhaft, ob dort eine faire Prüfung von Asylgründen überhaupt stattfindet (vgl. z.B. Deutsches Institut für Menschenrechte ). Darüber hinaus wird an der EU-Türkei-Vereinbarung kritisiert, dass das Auswahlverfahren der Resettlement-Flüchtlinge durch die türkische Migrationsbehörde (DGMM) nicht ausreichend transparent ist. So häufen sich Berichte über Geflüchtete, die kurz vor ihrer Abreise keine Ausreisegenehmigung erhalten haben (vgl. z.B. FAZ ). Außerdem rücken durch die Vereinbarung zwischen der EU und der Türkei verfestigte Flüchtlingssituationen in verschiedenen (z.B. afrikanischen) Staaten weiter in den Hintergrund. Das Deutsche Institut für Menschenrechte resümiert in seiner Stellungnahme, dass die Vereinbarung zwischen der EU und der Türkei mit den flüchtlings- und menschenrechtlichen Verpflichtungen der EU und ihrer Mitgliedsstaaten nicht vereinbar sei.

Weitere Informationen und Stellungnahmen zum Thema:

Pro Asyl: Der EU-Türkei-Deal und seine Folgen

-Amnesty International: Nein zum EU-Türkei-Deal – Ja zu sicheren Zugangswegen!

– Human Rights Watch: EU: Don’t Send Syrians Back to Turkey 

Medecins sans frontieres: EU States’ dangerous approach to migration places asylum in jeopardy worldwide

Stiftung Wissenschaft und Politik: Grenzsicherung, Lager, Kontingente: Zukunft des europäischen Flüchtlingsschutzes?

-UNHCR: EU-Türkei-Deal, UNHCR ändert Rolle in Griechenland

-UNHCR zur EU-Türkei-Vereinbarung

-FAZ: Lässt die Türkei weniger gebildete Syrer nach Europa?

Tagesschau: Zweiklassensystem für Flüchtlinge

Was sind die Forderungen von UNHCR und anderen Organisationen?

UNHCR  fordert, dass verfestigte Flüchtlingssituationen nicht aus den Augen verloren werden dürfen: „Mehr EU-Resettlement aus der Türkei darf dabei nicht auf Kosten entsprechender Programme für andere Flüchtlingsbevölkerungen gehen, für die ebenfalls ein großer Bedarf in diesem Zusammenhang besteht – besonders vor dem Hintergrund einer Rekordzahl von Menschen, die heute weltweit auf der Flucht sind.“ Pro Asyl  fordert, dass Menschenrechte von Flüchtlingen gesichert sein müssen. Darüber hinaus seien Abschiebungen von Geflüchteten in die Türkei sofort einzustellen. Amnesty International  setzt sich ebenfalls für die Beendigung der EU-Türkei-Vereinbarung ein und fordert den Ausbau von sicheren und legalen Zugangswegen für Flüchtlinge.

Wie positioniert sich die Europäische Kommission?

Die Europäische Kommission  sieht den starken Rückgang von Einreisen aus der Türkei nach Griechenland als Beweis für die Effektivität der Vereinbarung. Gleichzeitig bezeichnet sie die bisherigen Erfolge der Vereinbarung als fragil, da nicht alle Aspekte der Vereinbarung bisher umfassend umgesetzt seien. Sie fordert Griechenland auf, die Kapazitäten für die individuelle Prüfung von Asylgründen auszubauen. Gleichzeitig ruft die Kommission die anderen EU-Mitgliedsstaaten dazu auf, verstärkt Resettlement aus der Türkei durchzuführen.