Administrative Hürden im Relocation-Prozess vor Ort und in den aufnahmebereiten Staaten
Die 2017 auf Englisch veröffentlichte Studie mit dem Titel ‚Implementation of the 2015 Council Decisions Establishing Provisional Measures in the Area of International Protection for the Benefit of Italy and Greece‘ wurde vom Policy Department des Europäischen Parlaments für den Ausschuss Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE Committee) in Auftrag gegeben. Sie beleuchtet die Umsetzung von Relocation und die Hürden bei der Erfüllung der Aufnahmezusagen.
Auf 90 Seiten werden verschiedene Aspekte wie die Einheit der Familie, das Dublin-System, die Rolle der Hotspots, die EU-Türkei-Vereinbarung und die Solidarität der EU-Mitgliedsstaaten hinsichtlich Relocation beleuchtet. Neben der Beschreibung der aktuellen Entwicklungen und Herausforderungen seit Beginn des EU-Relocation-Programms in 2015 ist es auch ein Ziel der Studie, konkrete Handlungsempfehlungen zur Verbesserung des Relocation-Programms auszusprechen.
Sehr unterschiedliche Erfüllung der Aufnahmezusagen
Im Anhang der Studie finden Sie übersichtliche Tabellen und Grafiken, die den Stand der Aufnahmen (bis 25.01.2017) und der bereit gestellten Relocation-Plätze der EU-Mitgliedsstaaten zeigen. Hier ist erkennbar, dass Lichtenstein seine Aufnahmezusage bereits zu 100% erfüllt hat, aber in absoluten Zahlen nur 10 Asylbewerber aufgenommen hat. Deutschland liegt bei den absoluten Zahlen mit 1.349 umgesiedelten Asylbewerbern vorn. Allerdings liegt die Erfüllungsquote bei nur 4,9%, denn zu den 27.536 zugesagten Plätzen fehlen noch über 26.000 neue Aufnahmen. Im europäischen Vergleich hat Deutschland die meisten Relocation-Plätze zugesagt, gefolgt von Frankreich mit 19.714 und einer Erfüllungsquote von 13,7%.
Foto: UNHCR/Achilleas Zavallis
Die Studie untersucht in Kapitel 2 Gründe, warum Staaten ihren rechtlich bindenden Aufnahmezusagen nur langsam nachkommen und sogar konkrete Vorschläge mit Personen für Relocation ablehnen oder überhaupt keine Plätze für Relocation zur Verfügung gestellt haben. Neben dem politischen Unwillen, werden hauptsächlich administrative und Herausforderungen und begrenzte Aufnahmekapazitäten sowie Sicherheitsbedenken bei Aufnahmevorschlägen als Gründe für die Nichtumsetzung der Aufnahmezusagen genannt. Auf die Praxis der einzelnen EU-Mitgliedsstaaten geht die Studie ein. Insgesamt sind mehr Asylsuchende aus Griechenland als aus Italien in einen aufnahmebereiten EU-Mitgliedsstaat gebracht worden. Bei den betroffenen Personen gibt es oft einen hohen Informationsbedarf vor und nach dem Relocationprozess, der nicht immer erfüllt wird. Missverständnisse hinsichtlich des Aufnahmestaates und des Status nach Relocation sind die Folge.
Insbesondere stellt die Studie die Bedeutung der familiären Bindungen in den Vordergrund. Im Kapitel 1 wird empfohlen Fälle mit familiären Bindungen zu priorisieren und zudem Verwandte über die Kernfamilie hinaus zu berücksichtigen.
Die Rollen der verschieden involvierten Akteure, auch im Resettlementverfahren aus der Türkei unter der EU-Türkei-Vereinbarung, werden in Kapitel 4 beleuchtet. Die Studie erläutert darüber hinaus die europäischen Akteure, wie den EU Special Coordinator, das Steering Committee und das EU Resettlement Team als Vermittler zwischen den aufnehmenden Mitgliedsstaaten und den Organisationen wie IOM und UNCHR.
Dublin und Relocation im Widerspruch
Die Anwendung des Dublin-Systems und die Rücküberstellung von Asylsuchenden in die Länder, die von dem Relocation-Programm profitieren sollen, benennt die Studie in Kapitel 5 als widersprüchlich und strukturell fehlerhaft. Bevor das Relocation-Programm Teil der Dublin IV-Vereinbarung wird, müssten zuerst die Mängel des Dublin-Systems selbst adressiert werden. Asylsuchende müssen ihre Optionen kennen und die Möglichkeit bekommen, ihre bevorzugte Option zu nennen. Nur in dieser Kombination kann der Weiterwanderung in andere Mitgliedsstaaten begegnet werden. Bevor Relocation nach dem Verteilungsschlüssel Anwendung findet, sollten alle Relocation-Optionen aufgrund von familiären Bindungen eingehend geprüft werden.
Wie bereits in vorigen Studien für das Europäische Parlament empfiehlt auch diese Studie das Modell ‚Dublin without coercion‘ (Dublin ohne Zwang) vor dem Hintergrund das Mitgliedstaaten realisieren müssten, dass Flüchtlinge keine Last sind, sondern eine Chance. Das volle Potential, das Flüchtlinge mitbringen, ließe sich am besten durch Kooperation statt durch Zwang entfalten.
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