Ägypten

Das Erstzufluchtsland am Nil gehört mit über 98 Millionen EinwohnerInnen (Stand 2018) zu den bevölkerungsstärksten Staaten Afrikas. Die Hauptstadt Kairo ist mit über 9 Millionen Einwohnern die größte Stadt des Kontinents. Das Ballungsgebiet „Greater Cairo“ gehört zu den am stärksten besiedelten Regionen der Welt. Weitere Millionenstädte sind Alexandria und Gizeh.

Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf lag 2018 bei 2.158 €. Zum Vergleich: weltweit lag das BIP im gleichen Zeitrahmen bei 9.372 €, innerhalb der EU bei 30.965 €. Im Index der menschlichen Entwicklung , ein Wohlstandsindikator der Staaten berechnet von den Vereinten Nationen, lag Ägypten 2019 auf Platz 116 von 189 Ländern. Die Amtssprache des Landes ist Arabisch. Mehr als die Hälfte aller EinwohnerInnen ist unter 25 Jahre alt. Drei Religionen sind öffentlich anerkannt: Der Islam, das Christen- sowie das Judentum. Die am stärksten vertretene Glaubensrichtung ist der sunnitische Islam mit ca. 90% Anteil in der Gesamtbevölkerung.

Die in Ägypten lebende ausländische Bevölkerung wird auf mehr als fünf Millionen Menschen (Stand Juli 2019, andere Schätzungen gehen von bis zu acht Millionen Personen aus) geschätzt. Davon stammen zwei bis vier Millionen Menschen aus dem Sudan und Südsudan. Weitere wichtige Herkunftsländer sind Somalia, Eritrea, Äthiopien, Jemen, Indonesien, China und Syrien.

Migrationsland Ägypten

Ägypten gilt als Herkunfts-, Transit- und Zielland und steht deswegen im Zentrum der Migrationsbewegungen im Raum Ostafrika und im Nahen Osten. Eine schon in den 1979er Jahren begonnene Tradition der Massenauswanderung von Arbeitskräften in die ölproduzierenden Staaten im Nahen Osten sowie in europäische Länder, ist ebenso kennzeichnend für die Migrationsprozesse des Landes wie die geografische Lage.

Sie bildet eine Schnittstelle zwischen Afrika, Westasien und Europa. Ägypten ist somit sowohl ein Ziel- und auch Transitland für eine große Anzahl an Geflüchteten und Asylsuchenden ist. Gerade für Geflüchtete aus ostafrikanischen Staaten wie Somalia, Eritrea, Äthiopien, Sudan und Südsudan, aber auch z.B. aus dem Jemen führt der Weg nach Europa fast ausschließlich durch Ägypten.

Es existieren jedoch starke Kontraste zwischen der Systematisierung der ägyptischen Auswanderungspolitik und der ägyptischen Einwanderungs- und Asylpolitik. Werden Auswanderungsmöglichkeiten für ägyptische Staatsangehörige aktiv von Seiten der Regierung unterstützt, so fehlt es auf der anderen Seite an Regularien und Anerkennungsmöglichkeiten für einwandernde Personengruppen. Als Unterzeichnerstaat der Genfer Flüchtlingskonventionen von 1951, des Protokolls über die Rechtstellung der Flüchtlinge von 1967 und die Flüchtlingskonvention der Organisation für Afrikanische Einheit (OAU)  von 1969 hat das Land die damit verbundenen Pflichten nur unzureichend erfüllt. In der Verfassung von 2014 wird zwar explizit das Recht auf Asyl erwähnt, doch fehlt es an gesetzlichen Regelungen und Anerkennungsverfahren. So ist der UNHCR die einzige Anlaufstelle für Geflüchtete, um Schutzstatus, Unterstützungsleistungen oder die Umsiedlung zu beantragen. Aufenthaltstitel oder Arbeitsgenehmigungen werden von ägyptischen Behörden nur sehr selten verliehen und Betroffene somit in die Illegalität gedrängt.

Die Unterstützung durch eine der zahlreichen Hilfsorganisationen in Form von Gesundheits- oder Bildungsleistungen ist oft an eine Registrierung beim UNHCR gekoppelt. Aufgrund der immensen Nachfrage sind die Wartezeiten für Termine jedoch derart lang, dass Menschen teils monate- oder jahrelang auf sich allein gestellt sind.

Doch auch eine erfolgreiche Registrierung beim UNHCR bietet nicht automatisch ein sicheres Leben. Das Auswärtige Amt berichtete in der Antwort auf eine Anfrage der Grünen darüber, dass in dem Zeitraum vom 1. Januar bis zum 31. August 2016 insgesamt 1.100 nicht beim UNHCR registrierte Menschen aus Ägypten abgeschoben wurden, meist in den Sudan. Weiterhin berichten NGOs über Abschiebungen nach Eritrea und Äthiopien sowie über Rückführungen syrischer Flüchtlinge in den Libanon oder Sudan. So seien syrische Geflüchtete trotz einer Yellow Card – ein Dokument, welches Menschen als bei der UN registrierte Flüchtlinge ausweist – abgeschoben wurden.

In den wenigen Bereichen, in denen Regeln bzgl. Einwanderung existieren, werden zudem zumeist informelle Handlungen geduldet, welche die offiziellen Formalien umgehen. So finden Geflüchtete beispielsweise informelle Arbeit in verschiedenen Sektoren (Landwirtschaft, Pflege, Dienstleistungen), welche zumeist schlecht bezahlt und mit prekären Arbeitsbedingungen verbunden ist. Alternativ schließen sie sich in gemeindebasierten Organisationen zusammen (Tadamon – The Egyptian/Refugee Multicultural Council), welche von staatlicher Seite nicht offiziell registriert wurden. Dies führt auch dazu, dass Geflüchteten- und Migrantenorganisationen nur allzu oft durch politische Prozesse destabilisiert oder aufgelöst werden. Weiterhin sind Xeno- und Homophobie sowie Rassismus im ägyptischen Alltag stark präsent. Gewaltsame Übergriffe, Beleidigungen und Ausbeutung (vor allem von Frauen) sind allgegenwärtig. Schutz und Sicherheit kann nicht gewährleistet werden, da EinwanderInnen sich nicht an Behörden wenden können, ohne eine Abschiebung zu riskieren.

Resettlement aus Ägypten

Die prekären Lebensbedingungen Geflüchteter führen zu mangelnden Perspektiven in Ägypten. Auch eine Aussicht auf eine Rückkehr in das Herkunftsland besteht für die vielen Geflüchteten nicht.

Der Resettlement-Bedarf wird jährlich im Global Resettlement Reports ermittelt. UNHCR stellte für 2020 in Ägypten bei 6.614 Fälle mit insgesamt 17.675 besonders schutzbedürftigen Personen einen Bedarf zur Umsiedlung fest. Damit ist Ägypten in Nordafrika das Land mit dem höchsten Resettlement-Bedarf.

Deutschland nimmt bereits seit 2015 Menschen mit hohem Schutzbedarf aus Ägypten über das Umsiedlungsverfahren auf.

Aus Ägypten wurden in 2018 und 2019 insgesamt 5.987 Personen umgesiedelt. Deutschland hat in diesem Zeitraum 1.159 schutzbedürftige Personen aufgenommen. Die 2018 und 2019 von Deutschland aufgenommenen Personen kommen aus folgenden Herkunftsländern:

Quelle: https://rsq.unhcr.org/en/#Nvf0

Auch im Jahr 2020 sollen laut Aufnahmeanordnung wieder Personen aus Ägypten in Deutschland aufgenommen werden. Inwiefern diese Zahlen zu welchem Zeitpunkt realisiert werden können, ist aufgrund der Corona-Pandemie derzeit nicht absehbar.

Migrationsgeschichte

Galt Ägypten vor 70 Jahren noch als einwanderungsfreundliches Land, so veränderten sich mit dem Aufschwung des Nationalismus im Zuge der Revolution der Freien Offiziere die Einwanderungszahlen rapide. Eine Ausnahme bildete die Zuwanderung palästinensischer Geflüchteter im Rahmen des Israelkonflikts. Als sich die Beziehung zu Israel jedoch in den 1970er normalisierte, verloren die PalästinenserInnen einen großen Teil ihrer Rechte, einschließlich des Rechts auf legalen Aufenthalt, Beschäftigung und den Besitz von Eigentum. Die Verbesserung der politischen Beziehung zu Israel wirkte sich zusätzlich auch auf den Umgang mit Geflüchteten aus Ländern südlich der Sahara aus. Bis 1995 durften Sudanesische StaatsbürgerInnen ohne Visum nach Ägypten einreisen und hatten dort uneingeschränkten Zugang zu Bildung, Beschäftigung und Krankenversicherung sowie das Recht auf Eigentum. Diese Rechte wurden auch durch das bilaterale Wadi El Nil-Abkommen zwischen Ägypten und dem Sudan von 1976 gesichert. Das Attentat auf den ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak im Jahr 1995 – angeblich von sudanesischen Islamisten verübt – führte zur Auflösung des Abkommens und damit auch zu systematischen Menschenrechtsverletzungen gegen SudanesenInnen im Land. Seit 1995 ist es nur einem sehr geringen Teil an sudanesischen Geflüchteten gelungen, sich erfolgreich beim UNHCR als Flüchtling registrieren zu lassen. Zudem hat Ägypten das im Jahr 2004 abgeschlossene bilaterale Vier Freiheiten-Abkommen, welche Freizügigkeit das Recht auf Eigentum, Arbeit und Wohnsitz gewährleisten soll, nicht umgesetzt. Gegenwärtig leben schätzungsweise zwischen 750.000 und 4 Millionen sudanesische Staatsangehörige in Ägypten. Darüber hinaus ist Ägypten seit dem arabischen Frühling 2011 und dem syrischen Bürgerkrieg auch erstes Zufluchtsland für Geflüchtete aus Syrien. Bis zum Machterlang des Militärs Mitte 2013 durften SyrerInnen ohne Visum nach Ägypten einreisen. Sie konnten sich daraufhin ein Touristenvisum ausstellen lassen und eine Registrierung beim UNHCR vornehmen. Nach Machtübernahme des Militärs veränderte sich die Haltung Ägyptens. Syrische Staatsangehörige brauchen seitdem ein Visum vor ihrer Einreise und müssen sich nach Ablauf des Visums umgehend bei der Regierung melden.