Policy Brief des Sachverständigenrats
„Zukunft der Flüchtlingspolitik? Chancen und Grenzen von Resettlement im globalen, europäischen und nationalen Rahmen“
Foto: Deutscher Caritasverband
Der Forschungsbereich des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) hat kürzlich ein Policy Brief zum Thema „Zukunft der Flüchtlingspolitik? Chancen und Grenzen von Resettlement im globalen, europäischen und nationalen Rahmen“ herausgegeben. Das Politikpapier des SVR zeigt den Stand des Resettlementsystems in Deutschland, Europa und weltweit auf und analysiert die Entwicklung und Umsetzung alternativer Aufnahmemodelle wie humanitäre Aufnahmeprogramme (HAP) und private Sponsorenprogramme. Zudem diskutiert das Paper aktuelle Grundsatz- und Richtungsfragen in der Resettlementpolitik.
In einem ersten Teil wird die Entwicklung des Konzepts Resettlement betrachtet und aufgezeigt, inwiefern sich dieses über die Jahre hinweg gewandelt hat. Nach dem Zweiten Weltkrieg und während des Kalten Krieges mischten sich politische Strategien und wirtschaftliche Interessen in den humanitären Gedanken von Resettlement. Während der 1980er und 1990er Jahre ging Resettlement aufgrund der Besorgnis über wachsende Arbeitslosigkeit und aufgrund zunehmender Fremdenfeindlichkeit stark zurück. UNHCR nannte es das „Jahrzehnt der Repatriierung“ (S. 11). Seit den 2000er Jahren rückt der humanitäre Anspruch bei Resettlement wieder in den Fokus. Resettlement ist heute eines der drei klassischen Instrumente zur dauerhaften Lösung von Fluchtsituationen. Im politischen und institutionellen Diskurs wird das Augenmerk meist auf die Schutzbedürfnisse und die (moralische) Verantwortung der Staatengemeinschaft gelegt.
Im Hauptteil werden drei grundsätzliche Aspekte beleuchtet, die sich durch die Geschichte und die aktuellen Debatten sowie durch die Theorie und Praxis von Resettlement ziehen. Im Kern handelt es sich um Zielsetzung, Qualität und Quantität: Wie Resettlement in Zukunft gestaltet wird, hängt davon ab, welche Ziele die Staatengemeinschaft mit Resettlement verfolgt, bzw. verfolgen sollte, welche Standards gewährleistet sein müssen und ob und wie sich Resettlement in einem größeren Maßstab, mit größeren Kontingenten umsetzen ließe (S. 18).
Daraufhin folgt eine Diskussion um die beiden Richtungsfragen „Resettlement vs. Asyl“ und „Resettlement vs. alternative Aufnahmemodelle“. Diese Richtungsfragen greifen das Zusammenspiel und das Spannungsverhältnis zwischen den oben genannten drei Dimensionen auf: Sind die verschiedenen Zielsetzungen ohne Weiteres miteinander zu vereinen? Dienen einheitlichere Standards einer klareren Zielsetzung? Lassen sich Kontingenterhöhungen mit hohen qualitativen Standards vereinbaren oder würden diese dadurch aufgeweicht? (ab S. 19).
Bei der ersten Richtungsfrage werden u.a. folgende Fakten festgehalten: Erstens, sind Asyl und Resettlement völkerrechtlich nicht gleichwertig, da beim Asylrecht die GFK zum Tragen kommt und es sich beim Resettlementverfahren um ein freiwilliges Engagement der Aufnahmestaaten handelt. Zweitens, haben Flüchtlinge bei Resettlement keine Einflussmöglichkeiten – weder auf die Auswahl, die Prozessdauer, den Zielort, noch auf eine garantierte Aufnahme – während der Asylweg eine gewisse Selbstbestimmung erlaubt. Drittens, wird das System des territorialen Asyls oft als „unfair“ bezeichnet, weil es auf einer Selbstauswahl basiert: Asyl beantragen darf, wer es bis zur Grenze des prüfenden Staats schafft und nicht notwendigerweise, wer nach objektiven Kriterien dringend Schutz benötigt. Flüchtlinge dürfen dafür jedoch nicht verantwortlich gemacht werden. Viertens, besteht das Risiko, dass eine politische oder legale Abwertung von Asyl gegenüber Resettlement die Glaubwürdigkeit des Asylsystems weiter aushöhlt und eine öffentliche Akzeptanz für den individuellen Flüchtlingsschutz mindert. Schließlich wird empfohlen, Resettlementkontingente zu erhöhen und dabei das Recht auf Asyl beizubehalten, denn alles andere wäre kurzsichtig, da nicht immer abzusehen ist, wo die nächste Fluchtbewegung auslösende Krisensituation entsteht und welches Land sich dann geografisch in der Position eines Erstaufnahmestaates wiederfindet.
Die Debatte um die zweite Richtungsfrage, Resettlement vs. alternative Aufnahmemodelle, gleicht dem „trade off“ der Zuwanderungspolitik: entweder nehmen Staaten mehr Personen auf und gewähren diesen aber weniger Rechte, oder sie beschränken die Aufnahmen und statten diese Personen dafür mit einem robusteren Status und weitreichenderen Rechtsansprüchen aus. In Bezug auf die ursprünglich unterschiedlichen Zielsetzungen von Resettlement und humanitären Aufnahmeprogrammen, stellt das Policy Brief fest, dass der temporäre Charakter von HAP nicht per se problematisch ist, die damit einhergehende Flexibilität bedeutet eine Anpassung an moderne Konflikt- und Fluchtrealitäten. Sie sollte aber nicht zu einem dauerhaften Schwebezustand für die Betroffenen führen.
Der Policy Brief gibt schließlich verschiedene Handlungsempfehlungen, etwa Asyl als Schutzweg zu garantieren und so das individuelle Flüchtlingsrecht beizubehalten; die Resettlementkontingente sowie die Anzahl der Aufnahmestaaten zu erhöhen; sowie das Potenzial alternativer Modelle auszuschöpfen, aber diese situationsgerecht anzuwenden. Dabei muss Schutzbedürftigkeit das oberste Auswahlkriterium bleiben und Qualität und Quantität sollen einander die Waage halten. Zudem soll die Perspektive der Flüchtlinge berücksichtigt und Integrationsperspektiven geschaffen werden.
Weiterlesen:
Das Policy Brief steht auf Deutsch und Englisch zur Verfügung.
Hier finden Sie außerdem das begleitende Faktenblatt.